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5.1. Beziehungsarbeit

Entscheidend für die Qualität der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ist die Qualität der professionellen Beziehung.

Dabei kann bereits das Bemühen im  Sinne der im Kap. 3.2. formulierten Leitlinien für die Offene Kinder- und  Jugendarbeit in Stegen, nämlich Kindern und Jugendlichen eine für sie ‚attraktive’ Beziehung anzubieten, als das Erreichen einer hohen Beziehungsqualität angesehen werden.

 

‚Attraktiv’ ist eine Beziehung dann, wenn sie respektvoll, interessiert, empathisch, vertrauensvoll und authentisch gestaltet wird und Kindern und Jugendlichen damit für sie reizvolle Beziehungserfahrungen angeboten werden. Eine aktive und bewusste Beziehungsgestaltung im o.g. Sinne trägt ihren Wert in sich selbst. Sie brauch kein Ergebnis, Ziel, ‚Output’ oder Endprodukt, an dem sich die Qualität Offener Kinder- und Jugendarbeit messen lässt.

 

Offene Kinder- und Jugendarbeit ist vor allem dazu da, Kindern und  Jugendlichen Beziehungen anzubieten, die sich positiv auf das  Selbstwertgefühl, die Selbstachtung, das Selbstbewusstsein und / oder die Selbstbestimmungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen auswirken und die  siedadurch bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben unterstützen  können.


Beziehungsarbeit bedeutet, Kinder und Jugendliche als ‚ganze Person’ anzuerkennen. 

  Die Voraussetzungen, unter denen sich Kinder und Jugendliche als ‚ganze  Personen’ anerkannt fühlen, sind zum einen die Gestaltung einer Beziehung, die auf „Gegenseitigkeit“ beruht, zum anderen die Existenz eines Erwachsenen, der sich ihnen als ein „Gegenüber“ anbietet.

 

Die Prinzipien der „Gegenseitigkeit“ und des „Gegenübers“ werden im folgenden erläutert und sind Voraussetzungen für eine „wirkungsvolle pädagogischen Beziehung“ (4).


Als wirkungsvoll kann sie insofern bezeichnet werden, als dass sie durch ein gewisses Maß an Zuneigung Konflikte besser aushalten kann und deshalb belastbarer ist. Hinter dem Prinzip der Zuneigung steckt keine ‚Kuschelpädagogik’, die Konflikte um jeden Preis vermeiden will, sondern eine Voraussetzung für eine konfliktfähige Beziehung. Eine weitere Voraussetzung  ist das Interesse an der Person und an den Gefühlen des Anderen.

 

Ein Miteinander ohne Zuneigung und Interesse bietet wenig Chancen, sich dem Anderen zu öffnen, voneinander zu lernen oder Konflikte einzugehen bzw. sie auszuhalten. Dass MitarbeiterInnen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit  Interesse an und Zuneigung gegenüber Kindern und Jugendlichen in die Arbeit mitbringen, sollteeigentlich selbstverständlich sein.

 

Doch die Zuneigung und das Interesse des Kindes bzw. des Jugendlichen kann nur dann geweckt werden, wenn der Erwachsene eine für das Kind / den  Jugendlichen interessante Person darstellt. Interessant ist ein Erwachsener vor  allem dann, wenn er sich als ‚Gegenüber’ anbietet und nicht als vermeintlich  jung gebliebener ‚Kumpel’.


In der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bedarf es PädagogInnen, die sich

als ‚Testpersonen’ zur Verfügung stellen. Gerade in diesem äußerst bedeutsamen Entwicklungsschub der Adoleszenz brauchen Jugendliche  Erwachsene, auf die sich verlassen können und an denen sie ihre eigenen Grenzen und die Grenzen des Anderen so austesten können, dass sie dadurch  psychisch keinen Nachteil erfahren.


Jugendliche ( und selbstverständlich auch Kinder ) brauchen ein Gegenüber, mit dem sie sich auseinandersetzen und an dem sie sich reiben können. Sie brauchen jemanden, der sie durch die Wahrung seiner eigenen und ihrer  Grenzen als ganzePersönlichkeit anerkennt. Kinder und Jugendliche erforschen die Persönlichkeitihres Gegenübers und „wenn sie bei dieser [...] Erforschung feststellen, daß dieihnen gegenüberstehende Person eigentlich Angst davor  hat, sich offeneinzulassen, [...] oder daß sie sich als Person immer wieder  hinter stereotypen Rollen zu verstecken sucht – dann wird die Person möglicherweise weniger interessant für sie sein“ (4)

 

Jugendliche sind durch den biologischen Reifungsprozess in der Pubertät mit den Veränderungen ihres Körpers konfrontiert. Diese Veränderungen haben Auswirkungen auf das Körperselbstbild, das Sexualverhalten, die familiäre Bindung und die Beziehungen außerhalb der Familie. Zu den körperlichen Veränderungen, die neue Bedürfnisse und Ängste entstehen lassen, kommt der Ablösungsprozess von der Familie hinzu.

 

Eng damit verbunden ist die Suche nach einer eigenen Identität und nach neuen außerfamiliären Beziehungen, die Halt geben und Antworten bieten. Treffen Jugendliche auf MitarbeiterInnen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als neue Personengruppe außerhalb der Familie, der Schule und den Gleichaltrigen, so haben sie hier die Möglichkeit, neue Beziehungsmodelle kennen zu lernen: „Die [...] physischen und psychischen Schübe und mit ihnen verbunden die Aufgabe, eine eigene [...] Identität zu finden, nötigen Jugendliche zu Suchbewegungen und Experimenten gerade in der Gestaltung von Beziehungen.


Dafür bietet die Jugendarbeit einen nahezu idealen Raum. Im Freiraum Jugendarbeit können Jugendliche weitgehend sanktionsfrei Beginn, Prozess, Brechung und Auflösung einer Beziehung zu Älteren gestalten“ (5).


Beziehungsarbeit, wie sie im Jugendzentrum Stegen geleistet werden soll, erfordert erstens eine Auseinandersetzung mit den Entwicklungsaufgaben Kinder und Jugendlicher. Zweitens das Bemühen, für Kinder und Jugendliche ein respektvolles ‚Gegenüber’ zu sein, um der kindlichen bzw. jugendlichen Suche nach Anerkennung gerecht zu werden, und sich besser in sie hineinfühlen zu können und drittens eine Auseinandersetzung mit sich selbst, um Beziehungen bewusster gestalten zu können.

 

(4) Vgl.: SCHRÖDER, A.: „Beziehungsarbeit“ mit Jugendlichen –  emanzipatorische Vorstellungen zur Gestaltung der Intersubjektivität. In: dt. jugend, 47. Jg. 1999

 

(5) BIMSCHAS, B./ SCHRÖDER, A.: Beziehungen in der Jugendarbeit. Untersuchung zum reflektierten Handeln in Profession und Ehrenamt. Opladen 2003.